Haben Sie sich schon einmal gefragt, wie Konflikte eigentlich zustande kommen? Wenn man nicht gerade selbst von Streit und Spannungen betroffen ist, ist das eine ziemlich spannende Frage: wie führt eins zum anderen, bevor es kracht?
Lange bevor ein Konflikt entsteht oder sogar eskaliert, findet etwas sehr normales und alltägliches statt, das bei jedem von uns ständig abläuft: ein Bedürfnis möchte befriedigt werden. Es gibt körperliche Bedürfnisse wie atmen, schlafen, essen und so weiter. Und es gibt psychische Grundbedürfnisse wie zum Beispiel das Bedürfnis nach Sicherheit, das Bedürfnis, sich selbst entfalten zu können, das Bedürfnis, sich etwas aufzubauen, das Bedürfnis dazu zu gehören oder das Bedürfnis gesehen und anerkannt zu werden, um nur einige zu nennen.
Im übrigen sind auch unterschiedliche Erwartungen, Wertvorstellungen und Ziele auf Bedürfnisse zurückzuführen. Weshalb ich vereinfacht nur von Bedürfnissen spreche.
Je nachdem, welches Bedürfnis nun beim Einzelnen gerade wie stark im Vordergrund steht, kann es im Kontext mit anderen schon sehr konträr sein.
Ein Beispiel
Der Chef ist ein Workaholic und er erwartet das auch von seinen Mitarbeitern. Sein einziger Lebensinhalt ist die Arbeit. Sein Mitarbeiter hingegen ist der Meinung, dass er nur dieses eine Leben hat und möchte so viel erleben wie möglich. Was natürlich vorsichtig formuliert auch ein gewisses Kontingent an Freizeit erfordert. Und schon haben wir das Potential für eine lange Reihe an möglichen Konflikten. Denn solange jeder nur seine Seite sieht und als richtig empfindet, werden die beiden nicht wirklich zusammen kommen.
Noch ein wenig spannender wird das Ganze, wenn sich mehrere Grundbedürfnisse vermischen. Um das zu veranschaulichen, spinne ich obiges Beispiel noch ein wenig weiter:
Der Chef ist auch noch Single und hat nur wenige Freunde, mit denen er auch nicht so viel anfangen kann. Ein klassischer Eigenbrötler, der am liebsten einen geregelten Tagesablauf hat. Außerdem ist er sehr darauf bedacht, sich ein sicheres finanzielles Polster aufzubauen. Er beschäftigt sich in seiner kurzen Freizeit lieber damit, sein Wissen über sichere Finanzanlagen zu erweitern. Er fühlt sich gut, wenn er mit seinem Wissen hin und wieder glänzen kann.
Der Mitarbeiter hingegen hat nicht nur eine große Familie, die eine wichtige Rolle spielt. Sondern auch noch unzählige verschiedene Freundeskreise. Er liebt es, ständig Neues auszuprobieren. Da er sehr sportlich ist und ihm alles schnell gelingt, was er in seiner Freizeit ausprobiert, bekommen er viel Anerkennung von seinen Freunden und Sportpartnern.
Gegensätzliche Bedürfnisse im Alltag
Zugegeben – das ist ein bewusst plastisch kreiertes Beispiel. Doch nun stellen Sie sich einmal den Arbeitsalltag der beiden vor. Das Unverständnis für das Leben des anderen ist förmlich zu spüren. Es begleitet die zwei mindestens unterschwellig tagein, tagaus. In puncto Arbeitsengagement werden die beiden sehr wahrscheinlich nicht auf einen gemeinsamen Nenner kommen. Denn der Chef möchte mehr Einsatz sehen, erwartet völlig selbstverständlich auch Überstunden. Und der Mitarbeiter möchte genauso selbstverständlich seine Verabredungen nach der Arbeit wahrnehmen können.
Auch die Art und Weise, wie die Arbeit getan wird, könnte ein Streitpunkt sein. Der Chef hat es gern, wenn die Dinge geregelt und jederzeit überschaubar, sogar kontrollierbar, ablaufen. Der Mitarbeiter ist vielleicht manchmal knapp dran oder macht die Dinge jedes Mal ein wenig anders. Er entzieht sich damit der Kontrolle des Chefs, anfangs mit Sicherheit unbewusst und automatisch.
Nun sind wir Menschen schon häufig so gestrickt, dass wir ohne einen gewissen inneren Abstand und Selbstreflexion das, was uns so im Leben begegnet, auf uns selbst beziehen.
In unserem Beispiel fühlt sich der Chef „verarscht“. Er denkt im schlimmsten Fall, dass sein Mitarbeiter sich respektlos ihm gegenüber verhält und dass der das ja nur tut, um ihn zu ärgern oder ihn vorzuführen. Er fühlt sich angegriffen.
Der Mitarbeiter hingegen fühlt sich sehr wahrscheinlich gegängelt, kontrolliert und ungerecht behandelt. Er fühlt sich nicht wohl in diesem Arbeitsumfeld und kann sein eigentliches Potential gar nicht richtig ausschöpfen. Was wirklich schade ist, denn er könnte das Team sehr bereichern.
Eins kommt zum Anderen
Beide fühlen sich unverstanden und werden durch das Verhalten und die Worte des anderen gekränkt. Ganz automatisch – dafür muss der jeweils andere noch gar nichts absichtlich tun. Immer mehr stauen sich diese Kränkungen an, es kommt eins zum anderen und irgendwann brechen die Dämme. Aus inneren Kränkungen wird ein offener Konflikt. Der sich jeden Tag neue Wege sucht.
Wenn jetzt nicht beide inne halten und sich damit beschäftigen, wie es soweit kommen konnte, ist die Situation kaum mehr zu retten. Zu tief sitzt beim Einzelnen, was alles war. Genährt durch die eigenen Interpretationen, die mit dem jeweils anderen normalerweise wenig bis nichts zu tun haben. Ärger, Wut und Scham tun ihr übriges. Und wie sich das Umfeld verhält habe ich noch gar nicht berücksichtigt.
Sie sehen: es braucht im Ursprung oft nicht viel, dass Konflikte entstehen können.
Sie können jedoch einiges tun, um konfliktreiche Situationen zu retten. Ein Konfliktcoaching wäre eine Möglichkeit.