„Pity is just another form of abuse.“ / „Mitleid ist eine Form der Misshandlung.“
(Michael J. Fox, Interview The Guardian, 06.10.2013)
Wie kommt jemand mit einer so schwerwiegenden Diagnose wie Michael J. Fox dazu, sich so gegen Mitleid auszusprechen? Das klingt im ersten Moment ein wenig seltsam. Nun – hierfür müssen wir vorab vielleicht beleuchten, was der Unterschied zwischen Mitleid und Mitgefühl überhaupt ist.
Umgangssprachlich sprechen wir von Mitleid, wenn wir uns sehr gut in die Lage eines anderen versetzen können. Wenn wir dessen Situation als ungerecht oder unverdient oder besonders schlimm empfinden und uns selbst gut vorstellen können, wie es uns in derselben Situation gehen würde. Mitleid (und die daraus resultierende Haltung wie z.B. Hilfsbereitschaft) ist laut Wikipedia im Christentum ein zentraler Begriff. Man kann also davon ausgehen, dass unsere Gesellschaft ziemlich stark von den christlichen Vorstellungen von Mitleid als Tugend und allem, was noch daran hängt, geprägt ist.
Doch das Ganze hat auch einige Aspekte, die meist nicht ganz so geläufig sind. Mitleid kann psychologisch betrachtet sogar ziemlich ungesund sein, und zwar für beide Seiten.
Kennen Sie zufällig das Gefühl, sich gegen entgegengebrachtes Mitleid am liebsten wehren zu wollen? Dann hat sich der Andere „über“ Sie gestellt, demonstriert seine Überlegenheit, ist vielleicht übergriffig und wahrt Ihre Grenzen nicht. Das heißt, dessen Mitleid macht Sie „klein“. Es nimmt Ihnen ein Stück Ihrer Würde, es spricht Ihnen indirekt ab, dass Sie in der Lage sind, Ihr eigenes Leben oder auch nur eine bestimmte schwierige Situation selbst zu meistern. Manchmal wird auch noch Dankbarkeit dafür erwartet, was dann besonders unangenehm werden kann.
Diese Form des Mitleids erschwert, dass Sie selbst die Verantwortung dafür übernehmen können, wie es weiter geht. Das Gefühl der Hilflosigkeit wird verstärkt, was wiederum lähmt und klein macht. Vielleicht empfinden Sie selbst Ihre Situation ja auch gar nicht als bemitleidenswert, der Andere dafür umso mehr. Auch das kann im Miteinander sehr unangenehm sein.
Auf der anderen Seite gibt es auch Menschen, die „anfällig“ dafür sind, mit anderen mitzuleiden – weil sie selbst nicht in eine derartige Lage kommen möchten oder den anderen sehr mögen. Das kann leicht ausgenutzt werden, man ist leichter manipulierbar. Zu starkes Mitleid kann auch denjenigen lähmen, der mitleidet und dazu führen, dass man nicht mehr zwischen dem anderen und sich selbst unterscheiden kann. Es macht genauso hilflos. Die Grenzen verschwimmen, die eigenen und die fremden Probleme und Gefühle vermischen sich. Eventuell neigt man auch schneller dazu, etwas auf den anderen zu projizieren, was mit demjenigen gar nichts zu tun hat (dafür meist umso mehr mit einem selbst). Wer sehr im Mitleid „hängt“, ist außerdem nicht mehr in der Lage, einem anderen Menschen wirklich zu helfen, falls gewünscht.
Insgesamt lässt sich sagen: Mitleid hilft niemandem. Leid wird nicht dadurch kleiner, dass man mitleidet und sich ebenfalls schlecht fühlt.
Aber was ist nun der Unterschied zu „Mitgefühl“?
Der erste Unterschied ergibt sich schon aus den Worten: Mitleid bedeutet mit-leiden. Mitgefühl bedeutet mit-fühlen.
Mitgefühl ist eine Art herzliche Anteilnahme und hat mit Einfühlungsvermögen und Verständnis auf der Basis von Ebenbürtigkeit und Wertschätzung zu tun. Gleichzeitig ist eine objektive Sichtweise möglich.
Es ist – bildlich gesprochen – wie das Angebot einer herzlichen, tröstenden Umarmung, die von dem Betroffenen angenommen oder auch abgelehnt werden kann. Keiner von beiden fühlt sich dabei hilflos, die Grenze zwischen den eigenen Gefühlen, dem eigenen Leben und der anderen Person sind klar zu spüren. Probleme können da gelassen werden, wo sie hingehören. Ein Hilfsangebot findet auf Augenhöhe statt. Eventuell gewährte Hilfe ist angemessen, sinnvoll und zielführend und idealerweise in Absprache mit dem direkt Betroffenen.
Dies trägt zu einer Verbesserung der Situation bei, auf welche Weise auch immer. Sie lähmt oder schwächt nicht einen oder beide, sondern stärkt und gibt die nötige Kraft, die Dinge anzugehen. Mitgefühl ermöglicht einen Dialog und unterstützt dadurch das Finden von (kreativen) Lösungen. Statt Hilflosigkeit herrscht eher Zuversicht und Hoffnung. Wer Mitgefühl zeigt, nimmt den anderen ernst.
Es lohnt sich also, ein wenig aufmerksamer zu sein in Bezug auf Mitgefühl und Mitleid. Im übrigen lassen sich die Ausführungen auch auf Selbst-Mitleid und Selbst-Mitgefühl übertragen. Selbst-Mitleid hält in einem Gefühl fest, keine Wahl zu haben. Man macht sich dadurch selbst klein und gibt Verantwortung und Entscheidungsmöglichkeiten aus der Hand. Selbst-Mitgefühl hingegen ist essentiell wichtig. Dadurch spendet man sich selbst Trost, findet neue Kraft und fördert zusätzlich seine Resilienzfähigkeit.